fortsetzung

Die wichtigsten Kontrahenten sind:

Anselm von Canterbury (1033-1109). Er stammt aus adeligem Geschlecht in Piemont, wird später Bischof von Canterbury. Als Kleriker ist er Neuplatoniker. Er vertritt: das Wesen der Dinge ist ihre Idee. Je allgemeiner die Begriffe, desto 'realer', am realsten ist Gott. Das heisst, der Glaube ist Grundlage und Ziel wahrer Erkenntnis.

Roscellinus (1050-1124), zählt sich zu den Nominalisten. Er vertritt das Folgende. Unsere menschliche Idee ist das Wesen der Dinge. Die Wirklichkeit besteht aus einzelnen Dingen. Weil wir sprechen, geben wir ihnen Namen, allgemeinverständliche Begriffe. Diese aber haben keine eigene Realität. Nur Menschen gibt es, keine Menschheit, nicht die Wahrheit, nur wahre Aussagen. Ist aber das Allgemeine nur eine Abstraktion unseres Verstandes, somit bloss subjektiv vorgestellt, ohne tatsächlichen Realitätsgehalt, dann ist auch der eine christliche Gott nur eine Abstraktion der drei christlichen Gottheiten. Auf dem Konzil van Soissons (1092) wird Roscellinus verdammt. Er sucht vergeblich Unterstützung bei seinem Schüler Abälard, flieht nach England. Dort stösst er auf den Widerstand des Anselm, inzwischen Bischof von Canterbury geworden. Verfolgt aber wird Roscellinus dort erst, als er den Geistlichen vorwirft, ihre im Konkubinat erzeugten Kinder in Amt und Würden zu bringen. Roscellinus bittet wieder in Frankreich um Asyl, trotz der Ankündigung des Bischofs von Chartres, er werde bei der Ankunft gesteinigt.

Vermittlend wirkt der Schüler Roscellinus' Abälard (1079-8142) als 'Konzeptualist' (Das Wesen ist in den Dingen). Er hat als Student sowohl den Realisten Wilhelm. von Champeaux als auch den Nominalisten Roscellinus gehört, lehrt später in Paris Logik und Theologie. Er versucht den Universalienstreit theoretisch einer Lösung zuzuführen. Er meint, die Realisten vernachlässigten die sinnlichen Dinge, die Nominalisten verfielen der Individualität und erkennten nicht die Ähnlichkeit der Dinge als ihr tatsächliches Wesen an, die Grundlage der Sprache. Natürlich ist seine These für die Machtziele der Kirche unbrauchbar. 1140 am Konzil von Sens wird Abälard von Bernhard de Clairvaux (1090 - 1280) scharf attackiert.

Der Universalienstreit wurde schliesslich von Albertus Magnus (1193 -1280) und Thomas von Aquin (1225-1274) im Sinne der Kirche neuplatonistisch doktrinär entschieden. Die Universalien existierten vor der Schöpfung im göttlichen Geist und gehen somit den Allgemeinbegriffen der Welt und der erschaffenen Dinge voraus. Der ideelle 'Realismus' neuplatonischer Prägung siegt und wird kirchlich dogmatisiert.

Der Streit geht jedoch weiter. Wilhelm von Ockham (1285-1349) lehrt in Oxford und Paris das Ende der Scholastik. Er meint: Aus den allgemeinen Glaubenssätzen kann nicht mehr die Fülle aller erfahrbaren und wissenswerten Einzelheiten abgeleitet werden. Christliche Dogmen können nicht die vielen beobachtbaren Naturvorgänge erklären. 1324 wird Ockham verhaftet, der Ketzerei beschuldigt. Nach vier Jahren, vor Ende des Prozesses, gelingt ihm die Flucht aus dem päpstlichen Gefängnis von Avignon zum deutschen Kaiser Ludwig dem Bayern. 1339 verbietet die Universität in Paris Ockhams Kritik zu verbreiten. Dennoch wird seine Lehre zur modernen europäischen Denk- und Lebensform.

Der Universalienstreit ist ein entscheidendes Ereignis des Mittelalters. Im Rahmen der damaligen Kirchenpolitik und in Verbindung mit dem Universalienstreit enthüllt er die machtorientierte Stossrichtung der Kirche auf eine absolut 'geistige', das heisst letztlich aber 'über-imperiale' - d.h. gegen die Franken, gerichtete - Verfassung. Als 'über-imperiale' war die kirchliche Verfassung in verschiedenen Anläufen letztlich erfolgreich, sie konnte die fränkisch-ottonische Reichskirche brechen und damit zeitweise die Reichsbildungen unter ihre Kontrolle bringen. Die Kirche höhlte damit aber auch zugleich die Macht ihres engsten Schutzpartners aus.

Zum andern war aber der 'idealistisch-realistische' Ausgang, die Absolutheit der neuplatonischen Doktrin der Kirche, gerade weil sie im Rahmen römischer und vorderorientalischer Reichsüberlieferungen mit Macht und Glorie auftrat - eine Herausforderung, die die langfristig schärfsten Gegner der Kirche, die empirischen Wissenschaften, mit Vehemenz auf die Weltbühne rief. Man kann sogar weiter gehen und sagen, dass hier in dieser klar machtpolitisch begründeten, ungeheuerlichen Spekulation der eigentliche Ursprung der europäischen Wissenschaft liegt. Sie bescherte dem europäischen Denken die unheilvolle Spaltung von Materie und Geist. Bis heute vermochten die aristotelischen Kräfte jedoch nie, die kirchlich angelegte Spaltung (Geistes- und Naturwissenschaften) zu überwinden. Der kirchliche Schöpfungsmythos wurde in die Naturwissenschaften, auch in die freien Künste übernommen. Er stützt dort - auch heute noch - den europäisch-westlichen Entdeckungs-, Erfindungs- und Kreativitätswahn, hält ihn mit ungeheurer Energie Iebendig.

Der Investiturstreit

War der Universalienstreit vornehmlich ein theologisch-philosophisch ausgetragener Kampf um die Vorherrschaft der Kirche, so Iässt sich andersrum der Investiturstreit oft direkt als der äussere staats- und territorial-politische Niederschlag der theoretischen Entwicklungen innerhalb der Kirche erkennen. Beide sind komplementär verkettet. Ohne den forciert neuplatonischen Ausgang des Universalienstreits wäre es Rom nie gelungen, die rein geistliche Gewalt verfassungsrechtlich zu stützen. Andersrum wird wohl keiner, der das Mittelalter etwas kennt, daran glauben, dass der Universalienstreit sich dem puren Gottsuchertum verschrieben hatte.

Frühe Spannungen, Kooperation und Abhängigkeit des Papstes

Der Investiturstreit schwelt bereits Ende des 8. Jhdt. bei der Kaiserkrönung Karls des Grossen am Weihnachtstag des Jahres 800 in der Peterskirche in Rom. Das eigenmächtige Handeln des Papstes Leo III. lässt sich mit Karls landeskirchlich germanischen Vorstellungen des Herrschertums nicht vereinen. 813 wird sein Sohn Ludwig in Aachen ohne den Papst zum Mitkaiser gekrönt.

Im 9. Jhdt., in der Zeit der fränkischen Reichsteilung dominiert dagegen Kooperation. Ludwig der Fromme (814-40) lässt sich 816 durch Papst Stephan IV. (816-17) in Reims die Krone aufsetzen. Auch die Kaiserkrönungen der Reichsteilungszeit werden vom Papst durchgeführt. (Mittel- Ost- und Westreich 843-875/911/987)

Die sächsisch-ottonische Reichskirche

Zu Beginn des Hochmittelalters im 10. Jhdt., nach Konrad I. (911-18), dem letzten Franken, nehmen die sächsischen Kaiser mit Heinrich I. (919-936), dem Wegbereiter von Otto I. d. Grossen, die Eroberungspolitik dezidiert wieder auf (925 Rückgewinnung Lothringens, 928 Kämpfe gegen slawische Stämme, 933 Sieg über die Ungarn, Burgenanlagen). Otto I. der Grosse (936-973) lässt sich in bewusster Anknüpfung an Karl den Grossen - nicht in Rom, sondern - in Aachen durch den Erzbischof von Mainz zum König krönen und salben. 939 gelingt ihm die Niederwerfung eines Aufstandes der Herzöge von Franken, Bayern und Lothringen. In seinem ersten Zug nach Italien (951/52) ernennt sich Otto ohne Wahl und Krönung zum König der Franken und Langobarden. 955 besiegt er die Ungarn auf dem Lechfeld. Sie werden christianisiert und sesshaft gemacht. Durch König Stephan den Heiligen (997-1038; Übersendung der Krone durch den Papst) wird Ungarn direkt mit Rom verbunden. Im gleichen Jahr (955) siegt Otto an der Rechnitz über die Slawen. Die Missionierung der Slawen wird durch Gründung von zahlreichen Bischofssitzen vorangetrieben (Schleswig, Oldenburg, Havelberg, Brandenburg, Meissen, Merseburg und Zeitz, die alle dem Erzbischof von Magedburg unterstellt werden; 968). Zwischen 961-65 unternimmt Otto seinen zweiten Zug nach Italien. Papst Johann XII. hat ihn zu Hilfe gerufen. Im Februar 962 erfolgt die Kaiserkrönung in Rom. Als Gegenleistung bestätigt Otto die Pippin'sche Schenkung . Auch die Kaisersrechte in Rom werden als Ottonianum erneuert. Unter den Nachfolgern Ottos des Grossen, Otto II. (973-83) und Otto III. (983-1002) und Heinrich II. (1002-24) konsolidiert sich das deutsche Reich.

Das ottonisch-sächsische Königtum schuf sich gegen die Herzogtümer eine Stütze in der über den Stämmen stehenden Kirche durch Übertragung weltlicher Herrschaftsrechte an Bischöfe und Äbte. Die Fürstenmacht der Reichsbischöfe und Reichsäbte wird - sie sind Träger der höchsten Reichsämter - Stütze der Königsmacht. Gegenüber Rom aber behauptet das Königtum - im Sinne der Reichskirche - seinen Anspruch auf volle Verfügungsgewalt über die Kirche durch Einsetzung der Bischöfe und Äbte (Investitur). Das stark vermehrte Kirchgut bleibt Teil des Reichsguts. Das Papsttum zeigt sich in starker Abhängigkeit vom Kaisertum. Otto III. setzt anlässlich seines Italienzuges (996) seinen Vetter Brun als Papst Gregor V. (996-999) ein und wird zum Kaiser gekrönt. 997 versucht er die 'Renovatio Imperii Romanorum': Rom soll Reichsresidenz werden, von der aus das Reich und seine Teile Germania, Roma, Gallia und Sklavenia regiert würden. Im Jahre 1001 nimmt er sich den Titel 'Servus Apostolorum', Knecht der Apostel, um auf die dem heiligen Stuhl übertragenen Länder Polen und Ungarn Einfluss gewinnen zu können.

Die fränkisch-salischen Kaiser, das Reformpapsttum und der eigentliche Investiturstreit

Unter Konrad II. (1024-39) schliesst sich das Königreich Burgund dem deutschen Reich an. Anlässlich seines ersten Italienzuges (1026/27) wird Konrad vorerst in Mailand mit der 'Eisernen Krone', dann in Rom zum Kaiser gekrönt. Zehn Jahre später, im zweiten Italienzug (1037/38), erleidet er einen empfindlichen Rückschlag. Aribert von Mailand, der sich auf das aufstrebende Bürgertum stützt, versetzt ihm die erste Niederlage eines deutschen Kaisers gegen die lombardischen Städte. Heinrich III. (1039-56) setzt 1046 an den Synoden von Sutri und Rom drei ihm missliebige Päpste ab und beseitigt den Einfluss der röm. Adelsparteien bei der Papstwahl. Mit Heinrich IV. (1056-1106 ) gerät das fränkisch-salische Kaisertum in die Schusslinie des Reformpapsttums, resp. in den Strudel des Investiturstreits.

Teilweise unter dem Einfluss der bereits im 10. Jhdt. entstandenen cluniazensischen Reformbewegung beginnt Papst Leo IX. (1049-1054) um die Jahrhundert-Mitte die päpstliche Stellung innerhalb der Kirche zu festigen. Der sogenannte 'Simonismus' (Kauf von geistlichen Würden) liefert den Vorwand zur Forderung nach der Bischofswahl durch den Klerus, ein erster Angriff auf die Investitur durch den König. 1059 befreit das Papstwahldekret Nikolaus' II. (1058-61) die Papstwahl von weltlicher Gewalt.

Der eigentliche Investitur-Streit bricht jedoch aus mit Gregor VII. (1073-1085), der vehement die von seinen Vorgängern anvisierte päpstliche Kirchenpolitik weiter verfolgt. Er legt sein Programm schriftlich nieder im sog. 'Diktat des Papstes' (Dictatus Papae). Darin fordert er vorerst die Loslösung der Kirche aus ihrer Verbindung mit dem Weltlichen, weiter, die Leitung der Welt durch die Kirche, und schliesslich die Durchsetzung der päpstlichen Herrschergewalt innerhalb der Kirche. 1075 wird kirchlicherseits an der Fastensynode das schon 1059 erlassene Verbot jeglicher Laieninvestitur erneuert. Die Provokation ist an den deutschen König gerichtet. Im Januar des nächsten Jahres (1076) erklärt Heinrich IV. an der Synode von Worms zusammen mit den deutschen Bischöfen den Papst für abgesetzt. Im gleichen Jahr beschliesst die kirchliche Fastensynode unter Gregor VII. die Absetzung und Exkommunikation des deutschen Königs. Es handelt sich um einen päpstlichen Strafbefehl, der auch die Lösung der Untertanen vom Treueid miteinschliesst. Heinrich verliert Boden im eigenen Lager. Im Oktober am Fürstentag zu Tribur beschliessen die deutschen Fürsten in Anwesenheit päpstlicher Legaten, den König unter bestimmten Bedingungen abzusetzen. Im anschliessenden Januar (1077, 25.-28.) begibt sich Heinrich auf den als Demütigung gedachten Gang nach Canossa. Er zwingt jedoch durch Kirchenbusse den Papst zur Aufhebung des Bannes. Drei Jahre später (1080) kommt es erneut zur Bannung Heinrichs durch Gregor. Im gleichen Jahr wird Erzbischof Wibert in Ravenna zum Gegenpapst gewählt. 1083 erobert Heinrich Rom im Rahmen seines ersten Italienfeldzugs, im folgenden Jahr (1084) Iässt er sich durch den Gegenpapst Clemens III. zum Kaiser krönen. Gregor bleibt in der Engelsburg belagert, wird aber von Normannen entsetzt. Heinrich IV. muss Rom räumen, doch nach der normannischen Plünderung muss Gregor die Stadt ebenfalls verlassen. Noch im gleichen Jahr stirbt er in Salerno.

Auf höchster politischer Ebene setzen sich somit hart geführte Rangkämpfe in Szene. Die härtere Gangart des Papsttums hängt theoretisch klar mit dem Universalienstreit zusammen, der in dieser Zeit - in der kirchlichen Kodifizierung - klar an Boden gewinnt. Trotz der dramatischen Situation ist jedoch die germanisch geprägte Herrschaft über die Kirche noch nicht erschüttert. Der Versuch zur Begründung der Einheit von Kirche und Welt unter päpstlicher Führung durch Gregor VII. ist vorerst gescheitert.

Dennoch erstaunt es nicht, dass in dieser Zeit die Kirche auch erstmals für Kreuzzüge wirbt. Die Kreuzzugsidee entzündet sich äusserlich am Vordringen der Seldschuken in Syrien und gegen Jerusalem, der Gedanke eines 'heiligen' Krieges passt aber durchaus auch in das neue Konzept eines überweltlich-kirchlichen Staates. Papst Gregor VII. plant bereits 1074 an der Spitze eines Ritterheeres als 'Führer' römischen Zuschnitts (Dux) und 'Pontifex' (Priester) den orientalischen Christen zu Hilfe zu kommen. Neben der Befreiung des heiligen Grabes (!) ist natürlich auch Reichsvergrösserung - die Union der griechischen und römischen Kirche - sein Ziel. An der Synode von Clermont hält Papst Urban II. seine berühmte, mit Begeisterung aufgenommene Rede für den heiligen Krieg ("Gott will es"). Die abendländischen Ritter und Fürsten stellen sich hinter ihn, verleihen dem 'geistlichen Schwert' den weltlichen Hintergrund. Fast über Hundert Jahre ziehen sich diese meist katastrophalen Ereignisse, oft am Rande des Lächerlichen hin. Sie sind aber, von unserer über-imperialen Verfassungsthese aus objektiv gesehen, recht einfach bloss ein plausibler Beleg. In Analogie zum weltlichen, gehört zum heiligen Staat der heilige Krieg. Die Kreuzzüge sind der Ausdruck des vervollständigten absoluten Verfassungsbewusstseins der christlichen Kirche Roms.


Zum folgenden Teil
Anmerkungen 1
Anmerkungen 2
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