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Der Höhepunkt der kirchlichen Macht: die Wirkungen des Universalienstreits

Im 12. (und 13.) Jhdt. erreicht das Papsttum den Höhepunkt seiner Macht. Es gelingt, die Vorherrschaft der deutschen Kirche zu brechen. Das Kirchenrecht hat sich voll verselbständigt. Die Vollendung der päpstlichen Universalkirche wird um 1140 mit dem 'Decretum Gratiani' erreicht. Mit späteren Ergänzungen erscheint heute diese initiale Sammlung des kirchlichen Rechts als das eigentliche Kirchenrecht (Corpus iuris canonici).

In der zweiten Hälfte des 12. Jhdts. bricht entsprechend die Investiturproblematik erneut wieder auf. Friederich I. 'Barbarossa' (1152-1190) stösst im Streit um die Führung der abendländischen Christenheit (imperiale oder kuriale Weltherrschaft) auf die Herrschaftsansprüche von Papst Alexander III. (1159-81). In einer zwiespältigen Papstwahl gewinnt dieser die Anerkennung in Sizilien, der Lombardei, Frankreichs und von England gegen den Anhänger des Kaisers Viktor IV.. Papst Alexander stärkt auch den Bund der lombardischen Städte gegen Friedrich. Er antwortet mit seinem 4. Italienzug (1166-68) wird aber durch eine Seuche in Rom an seinen Plänen gehindert und nach seiner Niederlage von Legnano anlässlich seines 5. Italienzugs (1177) kommt es zur Friedenschliessung mit dem Papst.

In der ersten Hälfte des 13. Jhdts. führt Innozenz III. (1198-1216) die Strategie Gregors VII. weiter. Er strebt erneut nach unbedingter Oberherrschaft über die Kirche (1215 Laterankonzil), ebenso nach unbedingter Oberherrschaft über die weltlichen Staaten (1213 England päpstliches Lehen). Es erfolgt die Wiederherstellung der Hoheit über den Kirchenstaat und dessen Erweiterung. Innozenz präsentiert sich in der erneut verfestigten neutestamentlichen Linie als Statthalter Petri, resp. Christi, resp. Gottes (Vicarius Christi), von dem die weltlichen Herrscher ihre Reiche zu Lehen empfangen. Er verfügt die Beseitigung der bischöflichen Gewalt, deren Zentralisation durch das päpstliche Institut der Legaten. Sizilien, England und Portugal gelten als lehensabhängig. Bei verschiedenen Gelegenheiten greift Innozenz in die inneren Verhältnisse Deutschlands, Frankreichs und Norwegens ein. Legaten werden nach Serbien und Bulgarien delegiert. 1215 fallen am 4. ökumenischen Laterankonzil die Beschlüsse über die bischöfliche Inquisition. Das Kirchenrecht schafft sich sein geistliches Gericht.

Schon früh in seiner Papstkarriere (1202-04) ruft Papst Innozenz III. den Adel Europas zu einem neuen Kreuzzug (4.) auf. Konstantinopel wird durch die Kreuzfahrer erobert, das 'lateinische Kaiserreich' errichtet, doch, die geplante Vereinigung der griechischen Kirche mit der römischen scheitert.

Auf der Karte Europas zeigt sich nun etwas Erstaunliches. Das von Innozenz III. und seinen Vorkämpfern geschaffene 'pseudo-territoriale' Weltreich, das nun nicht nur über den Einsatz von dezentralen christlichen Verwaltungsstellen verfügt, sondern auch in oberster Instanz durch den königlich-kaiserlichen 'Kronen-Verleih' seine Territorien beherrscht, ist bereits fast doppelt so gross als jenes der Hohenstaufen um die selbe Zeit.

Papst Gregor IX. (1227-41), später Innozenz IV. (1243-57) führen den Kampf um die Weltherrschaft der Kirche weiter. Die Einrichtung der Inquisition gegen die Ketzer ist seit Gregor unmittelbar dem Papst unterstellt. Es folgen grausame Untersuchungen mit anschliessender Überweisung der Angeschuldigten an die weltliche Gerichtsbarkeit, die die Grausamkeiten ausführt: Folter und Todesstrafe (Verbrennung). 1231 wird für Häretiker in Frankreich und Deutschland die Todesstrafe eingeführt.

Es dürfte deutlich geworden sein, dass die ungeheure Straffung, die die Kirche in dieser Zeit zeigt, auf ein kohärentes Rechtssystem, auf eine 'Verfassung' hinzielt. Ein eigenes Kirchenrecht ist geschaffen mit Oberrherrschaft über Kirche zum einen und über die weltlichen Staaten zum andern. Dieses geistliche Staatsbewusstsein über den Staaten greift nun direkt zur strengen Zentralisierung der Kontrolle durch Legaten, es übernimmt das weltliche Lehenssystem, es erschafft sich ein eigenes Gericht für sein 'Volk', die Inquisition, die nun die Untersuchung und Verurteilung von Glaubensgegnern erlaubt, und, schliesslich - wen erstaunt es? - das 'heilige' Kriegsrecht', das in den Kreuzzügen zum Ausdruck kommt. All das zeigt klar, dass die Kirche ihre theologisch philosophischen Auseinandersetzungen weniger im Sinne des Gottesdienstes, vielmehr entsprechend 'weltlichen' Kategorien der Macht und Kontrolle über Territorien und Menschen führt.

Der Niedergang des deutschen Reiches

Mit Kaiser Friedrich II. (1215-1250) beginnt der Niedergang der königlichen Macht im Reich. Die Kaiserkrönung erfolgt in Rom (1220). Im gleichen Jahr überlässt Friedrich durch die 'Confoederatio cum principibus ecclesiasticis' (und 1232 mit dem 'Statutum in favorem principum') den geistlichen und weltlichen Fürsten für ihre Unterstützung wichtige Kronrechte (Gericht, Münz- u. Zollstätten, Befestigungshoheit, Gerichtsbarkeit). Im Vertrag von San Germano (1226) einigt er sich mit dem Papst über die Durchführung des Kreuzzuges zu dem Friedrich ein Jahr später aufbricht. Er muss aber wegen einer Seuche zurückkehren und wird deshalb von Papst Gregor IX. mit dem Bann belegt. Ein Jahr später führt Friedrich trotz des Banns den Kreuzzug durch. Nach seiner Rückkehr kommt es zum Frieden von Ceprano (1230). Der Kaiser wird vom Bann gelöst. Der Papst erhält kirchliche Sonderrechte In Sizilien. 1239 wird der Kaiser abermals gebannt. Ab 1241 wird Sizilien zum Mittelpunkt des Kaisertums Friedrichs II. (zentralisierter Staat) und auf dem Konzil zu Lyon (1245) wird er abgesetzt und zum Ketzer erklärt. Er stirbt noch im gleichen Jahr. Er kämpfte den letzten Kampf des Kaisertums um Italien und gegen das Papsttum.

Mit dem Tode Friedrichs II. (1245) ist das universale abendländische Kaisertum am Ende. Das Reich zerfällt, auch das bisherige Reichsitalien splittert sich auf. Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass der päpstlichen 'Weltherrschaft' in diesem Zusammenhang nur kurze Dauer beschieden war. Sie endet recht peinlich. Das über Jahrhunderte gegen die Franken geschliffene 'geistliche' Schwert erwies sich gegen Frankreich als wertlos.

Das Ende der päpstlichen Herrschaft

Mit dem Emporkommen der westlichen Nationalstaaten hatte sich der von der Kirche zielstrebig ausgebaute, philosophisch-ontologisch gestützte Absolutismus - nun am römischen Weltreich orientiert - auf die weltliche Seite verschoben. Das Verfassungsgebäude des Papsttums war - jedenfalls vorläufig - wertlos geworden. Im letzten Viertel des 13. Jhdts. baut Philipp IV. der Schöne (1285-1314) im inzwischen erstarkten Frankreich nach römischem Recht die Idee der absoluten Herrschergewalt aus. Zwischen 1294 - 1303 ergeben sich Zusammenstösse Philipps mit Papst Bonifaz VIII. der, an Gregor VII. und Innozenz III. anknüpfend einen übersteigerten Anspruch auf päpstliche Oberhoheit über die weltlichen Mächte erhob. 1296 verbot die 'Bulle Clericis laicos' die Besteuerung von Geistlichen ohne päpstliche Zustimmung. Zu Beginn des 14. Jhdts. (1302) wurde - nach Übergriffen Philipps - in der 'Bulle Unam sanctam' wieder die päpstliche Oberhoheit schärfstens betont. Philipp Iässt mit seiner Antwort nicht lange auf sich warten. Im nächsten Jahr wird der Papst durch Wilhelm von Nogaret, Grossiegelbewahrer Philipps in Agnani gefangen und ins Gefängnis gesteckt. Kurz nach der Befreiung aus dem Gefängnis stirbt Bonifaz.

Bonifaz VIII. bedeutete das Ende des mittelalterlichen Papsttums, das mit seinen universellen politischen Ansprüchen nach seinem Sieg über das Kaisertum (1250) nun dem neuen Absolutismus der erstarkten nationalen Monarchien erlag. Clemens V. (1305-1314) verlegte 1309 den Papstsitz nach Avignon. Das Papsttum geriet in starke Abhängigkeit vom französischen Königtum. Die Zeit (bis 1377) wird auch die 'babylonische Gefangenschaft der Kirche' genannt.

Bezeichnenderweise gab aber das Papsttum, selbst im dieser prekären Lage, seine 'verfassungsrechtlichen' Ansprüche nicht auf. Der Vorfall deutet klar an, dass die Angelegenheit theoretisch natürlich nicht erledigt sein kann! In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ereignet sich unter Ludwig dem Bayer (1314-47) ein Nachspiel, der allerletzte Streit zwischen Kaisertum und Papsttum. Anlass war die Einmischung des Papstes Johann XXII. (1316-34) in den Thronstreit. Ludwig Iässt sich zur Antwort in Rom durch Vertreter des römischen Volkes zum Kaiser krönen. Ein Gegenpapst wird aufgestellt. Ludwigs Kampf für das herkömmliche Recht (1338) wird zwar von den Kurfürsten unterstützt, man fürchtet jedoch seine unlösbare Feindschaft zum Papst. Man entscheidet sich gegen Ludwig und weiht 1346 Karl von Mähren, der nach Ludwigs Tod als Karl IV. regiert. 1348 wird in Prag die erste deutsche Universität gegründet. Ab 1356 gilt die 'Goldene Bulle' als Reichsgesetz zur Regelung der Königswahl. Sie blieb prinzipiell gültig bis 1806. Mit Beginn des 15. Jhdts. entwickelt sich Deutschland im Sinne moderner Territorialstaaten.

Der scholastische Bau der mittelalterlichen Theokratie

Die territorialen Implikationen der mittelalterlichen Geschichte dürften aus dieser kurzen chronologischen Skizze einiger Hauptereignisse klar geworden sein. Im Aufbau der weltlichen Macht der fränkisch-salischen und hohenstaufischen Reichsbildung und Reichsverwaltung geht es um den neuerlichen Aufbau und die Ausdehnung des ehemals weströmischen Reiches. Weite Teile der von den Römern nicht überwundenen Territorien der Germanen und Slawen werden bis weit nach Osten unterworfen, anschliessend - zwecks Pazifizierung - christianisiert. Die Kirche wird kooperativ als Exekutive dieser Pazifizierung eingesetzt, stellt sich mit zunehmender Ausdehnung der Gebiete jedoch zusehends als machtpolitische Konkurrenz heraus, die in Rom die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer 'geistlichen' Weltmacht ausbaut. Zwischen dem frühen Identitätsstreit (Vater mit Sohn identisch), und dem späteren Universalienstreit (Gott als das höchste Allgemeine, existierend vor der Schöpfung, vor den Dingen) besteht ein klarer Zusammenhang. Beide sind sie von der Kirche mit Macht im neuplatonistischen Sinne entschieden worden. Das dient ganz klar nicht der religiösen Konsolidierung, vielmehr zielt dies verfassungsrechtlich auf eine 'überimperiale Verfassung', die im Investiturstreit offensichtlich ihre ersten 'Weltherrschafts' Aspirationen durchexerziert.

Die Darstellung der mittelalterlichen Kirchenpolitik als Machtpolitik ist nicht neu. Darauf wurde immer wieder hingewiesen. Im historischen Rahmen blieben aber die Grundwerte, mit denen die Kirche operierte, unangetastet. Das historische Bild lastet entsprechend die Auswüchse den historischen Figuren der Päpste persönlich an. Sie erscheinen im historischen Kontext als machtgierige Figuren, die über die Kirche schliesslich die Verfügungsgewalt über die Welt an sich reissen. Der Kirche selbst, als Institution, tut dies keinen Abbruch. Sie wird sich immer wieder von solchen Stössen erholen. <24>

Das ändert sich allerdings, wenn wir die 'Kirchengeschichte' in weitere Kreise der Religionsanthropologie stellen. Indem nun ihre theologischen Grundbegriffe (Gott, Bund mit dem Menschen, Schöpfung) im Hinblick auf altorientalisch-ägyptische theokratische Territorialverfassungen in ihrer funktionalen Bedeutung einsichtig werden, fällt das Ganze - theologisch - in sich zusammen. Es handelt sich letztlich um ein historisches Konstrukt, das der modern-anthropologischen Sichtweise nicht mehr standhält.


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