Das Christentum als Pazifizierungsinstrument vor allem kettet die Franken an das Papsttum. Die Kirche bildet - weltlich gesehen - gleichsam die Exekutive der Pazifizierung. Sie steuert - im 'fremden Territorium' - die Entwicklungen indem sie statusmässig der weltlichen Elite gleichgestellt, zugleich auch, über die Bekehrung, diffusionistisch das Volk nachhaltig beeinflusst.
Diese 'doppelte', dh. weltlich-königliche und geistlich-päpstliche, oder territoriale und pseudo-territoriale Macht- und Verwaltungsstruktur macht den erbitterten Kampf um die Kontrolle über die fränkische Reichskirche verständlich. Die gleiche territoriale Infrastruktur wird von zwei konkurrierenden Verfassungen beansprucht.
Im fränkischen Verständnis ist - getreu den altgermanischen Orts- und Gaukulten - die Ontologie noch Teil der Herrschaft. Die Bischöfe, Äbte und andere Kirchenfürsten werden entsprechend vom Kaiser bestimmt. Religion ist - unter anderen - ein Mittel der Herrschaft. Soweit es sich um die Popularisierung des Christentums im Sinne der Pazifizierung handelt, sind beide Mächte kooperativ. Die Pazifizierung erlaubt es den Franken, ihre Kernlande politisch zu befrieden, die Kirche dehnt im Schatten militärischen Schutzes ihren Wirkungsbereich aus, betreibt so auch ihren personellen und materiellen Ausbau.
Philosophisch-theologisch entscheidend ist vor allem die über Plotin (204-270) überlieferte und entwickelte Linie des Neuplatonismus, die das höchste Allgemeine - gegenüber Platon - ver-ein-fachend entmaterialisiert und damit die Absolutierung des Gottesbegriffes begründet. Zum andern ist es die Patristik (Augustinus 354-430) und zweifellos auch Augustinus' Hauptwerk 'De Civitate Dei' welche den Ausbau der Kirche als 'Gottesstaat' vorantreiben. In letzterem schildert Augustinus den ewigen Gegensatz zwischen 'Gottesstadt' und 'Teufelsstadt', charakterisiert erstere als die katholische Kirche. Sie ist getragen von einem demütig vertrauend sich der Autorität hingebenden Glauben. Die andere jedoch, die 'Teufelsstadt', im heidnischen Römerreich wurzelnd, kennzeichnet sich grell in selbstsüchtigem Hochmut gegen Gott. Solche offensichtlichen Überzeichnungen würden wir heute als Werbung bezeichnen.
Auf dieser Ebene wurde die Stellung des Papsttums systematisch ausgebaut. Die konkreten Schritte galten zum Einen der Ausbildung der neutestamentlichen Linie. Das Primat Roms unter den Bischöfen, resp. Patriarchaten, wurde durchgesetzt, und weiter wurde die direkte 'Apostolische Sukzession Roms', die Verbindung des römischen Papstes zu Petrus in Bezug auf höchste Ehre, Regierungs-, Rechts-, und Lehrgewalt der Kirche (Patrimonium Petri) kirchenrechtlich festgelegt. Die Unterscheidung einer geistlichen gegenüber einer weltlichen Gewalt wurde weiterentwickelt mit Betonung der völligen Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt im Sinne der von Papst Gelasius I. (482- 496) - gegen das byzantinische Kaisertum gerichteten - klar dargestellten römischen Doktrin von den zwei Gewalten. Daraus folgte erstens die Unterordnung der Herrscher als Glieder der Kirchenzucht, die Einrichtung der kirchlichen Verwaltungsbezirke nach römischem Muster (Diözese), der Ausbau der klerikalen Hierarchie, schliesslich der Ausbau der territorial-rechtlichen Grundlagen des Kirchenstaats. Mit Gregor I. d. Gr. (590-604) schliesst sich die Liste mit der Zentralisierung des Kirchenbesitzes.
Rom durchdringt so zusehends - über sein poströmisch strukturiertes 'Verwaltungssystem' - die territorialen Aneignungen im Reich der Franken und ihrer Nachfolger, operiert vorerst an der Basis im Windschatten der weltlichen Eroberungen, politisch über das System der 'Kirchenprovinzen' mit (Erz-) Bischöfen, Äbten und den entsprechenden Institutionen, auch mit speziellen Legaten. An den Spitzen zucken die Spannungen besonders zwischen starken weltlichen Führern und hervortretenden Papstfiguren die mit Nachdruck die kirchliche Autonomie behaupten. Die Spitzen- Spannungen zeigen sich besonders an Ereignissen auf höchster Ebene, wie bei Krönungen und anlässlich von Papstwahlen. Wir versuchen dies im folgenden kurz chronologisch zu skizzieren. Theoretische und politische, weltliche wie geistliche Elemente erscheinen eng vermengt in diesem für das Mittelalter und danach - bis heute - entscheidenden Kräftemessen bei dem es, paradox, immer um Himmel und Erde geht.
Dieses Paradoxon der mittelalterlich-scholastischen 'Zweigewaltenlehre', nämlich, dass zwei Arten von Staatsverfassungen sich auf das gleiche Territorium projizieren, wobei beide an der Basis prinzipiell kooperieren, sich aber an der Spitze 'verfassungstheoretisch' bekämpfen, und dabei letztendlich beide ihr Ansehen und ihre Macht verlieren, ist der dynamische Motor der mittelalterlichen Geschichte. Der Machtausbau des Papsttums führt zur Schwächung und - im 13. Jhdt. - zur Auflösung der Macht des wichtigsten Partners, des fränkisch-deutschen Königs - resp. Kaisertums. Nach dessen Niedergang schwenkt das Papsttum nach dem erstarkenden Frankreich, trifft dort aber auf einen neuen,'weltlichen' Absolutismus, der seine neuplatonischen Gottesmachtforderungen schnöde negiert. Der Papst wird ins Gefängnis gesetzt. Diese verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen , die für die kuIturgeschichtlichen Entwicklungen Europas von ungeheurer Tragweite waren, schlagen sich - gegenüber dem Identitätsstreit - historisch am deutlichsten nieder in zwei Streitereignissen, die komplementär eng verknüpft sind: im Universalien- und im Investiturstreit. Vorerst zu ersterem.
Theoretisch entzündet sich der Streit in der zweiten Hälfte des 11. Jhdts. an einer Textstelle des Porphyrius (232-31)4), den der römische Staatsmann und Philosoph und wichtigster Vermittler zwischen Altertum und Mittelalter, Boethius (480-524) übersetzt und kommentiert. Es geht scheinbar um eine philosophische Haarspalterei, um die 'Realität der Allgemeinbegriffe'. Doch, da mit der Unterscheidung von allgemein und speziell auch der mittelalterliche Gottesbegriff verbunden ist, wird die Sache von entscheidender Bedeutung.
Die Grundfrage des Universalienstreits lautet: Ist Wahrheit nur eine Idee? Auf die Frage des Porphyrios antwortet die Scholastik: Das Allgemeine, Gott ist die Wahrheit. Drei Hauptauffassungen lassen sich unterscheiden: