Der ewig brennende Dornbusch

- Fortsetzung -

Archäologische Quellen

Hermann Kees' prädynastisch angelegte Entwicklungstheorie der Religion wird auch archäologisch gestützt. Die äyptischen Hochkulturtempel sind allesamt nicht Schöpfungen einer neu entstanden Hochkultur, sie sind bloss stoffliche Umsetzungen materiell vergänglicher Formen in dauerhafte Materialien, vornehmlich Stein. Die deutsche archäologische Bauforschung im Vorderen Orient hat in den 30er Jahren eindringlich auf diesen 'metabolistischen' Grundzug Ägyptens (und Mesopotamiens) insbesondere im Bereich der Tempelarchitektur und der Göttersymbole hingewiesen (Andrae, 1930, 1933, Heinrich 1934, 1957). Zahlreiche Formdaten wie etwa frühe Schilftempel, Djedpfeiler, Bündelsäulen als Tribute zum Reichstempel, Heiligtümer, etc., auch das Schilfbündelzeichen der Göttin Ischtar in Mesopotamien weisen klar auf ein dörfliches Substrat hin, in welchem vergängliche (fibro-konstruktive) Zeichen und Symbole - Im Sinne eines semantischen Systems von ontologischer Höchstwertigkeit - mit der Territorialgeschichte eng verbunden waren. Der 'metabolistische' Übergang von einem vergänglichen, zyklisch erneuerten, zu einem linearen (monumentalen) Repräsentationssystem erhellt überdies zahlreiche Stukturmerkmale der altägyptischen Kultur, etwa die pharaonische Personalunion von gottgleichem Herrscher über ein bestimmtes Territorium, in welchem göttliche Gesetze wirken, zugleich seine Rolle als höchster Priester.

Kurz, Kees macht uns das Thema 'altägyptische Religion' auf unerwartete Weise plausibel. 'Religion' erscheint als das tragende Gerüst der altägyptischen Verfassung, ein Gerüst, das auf physisch repräsentierten Göttersystemen und ihrer semantischen Eigenschaften bezüglich bestimmter Territorien ruht. Es ist deutlich - und wesentlich - auch Teil der altägyptischen Sachkultur und weist auf eine Entwicklung hin, die von vordynastisch-lokalen Dorf- und Gauverfassungen zu staatstragenden imperialen Systemen führt.

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DAS ALTE TESTAMENT: RELIGION ODER VERFASSUNG?

Es gehört in der Anthropologie zum Selbstverständlichsten , dass man kulturgeographisch verwandte Sachverhalte auf Zusammenhänge prüft. Kultur Iässt sich nicht aus dem zeitgenössischen Umfeld herausschneiden wie ein beliebiges wissenschaftliches Objekt. Kulturen beeinflussen sich gegenseitig, sind nur im Zusammenhang zu verstehen. Entdeckt sich somit stark ein grundlegend konstitutives Element in der Entwicklung der Religion im alten Ägypten, so ist es naheliegend, ein historisch gut dokumentiertes System zu befragen, das seine Wurzeln in der gleichen kulturellen Domäne hat. Wir fragen nach strukturellen Ähnlichkeiten im hebräischen Alten Testament. <7>

Äusserlich sind enge Zusammenhänge gegeben. Das Alte Testament datiert sich mit seiner Schlüsselfigur im Rahmen des Neuen Reiches. Es ist eng mit den politischen Bedingungen jener Welt verbunden (ägyptische Gefangenschaft der Hebräer). Moses Leben und das in seinen fünf Büchern Beschriebene spielt um die Mitte des 13. Jhdts., in der Zeit der Ramessiden. Auch ist sein Name vom Ägyptischen abgeleitet (wie Thut- moses). Ein weiterer wichtiger Punkt: Mose hatte seine Schulung in der pharaonischen Administration erhalten. Wir werden im Folgenden diese enge Kontaktzone in den Vordergrund stellen.

Das Neue Reich

Das Neue Reich unterscheidet sich grundsätzlich von seinen Vorgängern, dem Mittleren und Alten Reich, die beide noch stark auf den inneren Aufbau bezogen waren. Im Neuen Reich hat sich Ägypten auf die internationale Ebene erhoben. Ahmose hatte die Hyksos aus ägyptischem Gebiet nach Palästina vertrieben, unter seinen Nachfolgern Amenophis I. und Thutmosis I. wird Ägypten mit siegreichen Feldzügen nach Asien (Euphrat) und Nubien (3. Katarakt) Grossmacht. Unter Thutmosis III. (1480-1448) erhält das ägyptische Reich seine grösste Ausdehnung, reicht vom Euphrat bis zum 4. Nilkatarakt. Die syrisch-palästinensische Koalition wird bei Meggido um 1480 unter Einsatz von Söldnerheeren und Pferdewagen zerschlagen, Phönikien und Palästina werden erobert, das Mitanni Reich wird Nachbar. Amenophis III. entfaltet regen Diplomaten- und Handelsverkehr mit Mitanni, mit Babylonien, Kreta, Zypern, Assyrien, mit dem Hethiterreich und den Agäischen Inseln. Amenophis IV. (1377-1358) zieht die Konsequenzen aus den neuen weiträumlichen Perspektiven, Iöst die Reichsverfassung aus den herkömmlichen topogenetisch gebundenen Göttersystemen (Ketzerkönig) heraus, indem er seine Residenz nach Echeaton (bei Tell el Amarna) verschiebt und die Sonnenscheibe des 'Aton'-Gottes mit der Sonne identifiziert. Die Zeit war jedoch noch nicht reif für dieses Ausgreifen in den Makrokosmos. Seine Nachfolger kehren nach Theben zurück, führen die Grossmachtpolitik des Neuen Reiches unter den alten Voraussetzungen weiter. Die Amarnazeit wird verfemt. In der 19. Dynastie (1345-1200) kämpfen Sethos I. (-1305-1290) und Ramses II. (-1290 -1223) gegen die Hethiter, gewinnen Syrien zurück (Schlacht von Kadesch 1299). Um 1275 kommt ein Freundschaftsvertrag zwischen Ramses II. und dem Hethiterkönig Hattusilis III. zustande. Ägyptens neue Residenz im Deltatal ist nun die Ramsesstadt. Später kämpft Meremtah in Palästina und gegen die Lybier. Ramses III. (1197-1165) schlägt wiederholt Angriffe der 'Seevölker' (u.a. Griechen und Philister) ab, Gefangene werden im Deltagebiet angesiedelt. Unter Ramses' Nachfolgern setzen innere Wirren ein. Palästina und Nubien gehen verloren, das Land verarmt.

Mose als Reichsgründer

Man wird aus diesem Umfeld recht naheliegend zur Vermutung kommen, dass es sich bei Mose gar nicht - wie allgemein angenommen - um einen 'Religionsstifter' handelte, sondern vielmehr - und primär - um einen 'Staatsgründer'. Seine Bücher lassen sich wesentlich unter diesem Gesichtspunkt lesen. Es geht um ein Volk und sein zukünftiges Land. Das zentrale Thema ist der Auszug der Hebräer aus ihrer prekären Lage in Ägypten und ihre Neuansiedlung im damaligen (syrisch-palästinensischen) 'Korridor' zwischen Ägypten und Assyrien. <8>

Mose als Staatsgründer, Reichsgründer! Das Motiv ist gegeben: die Hebräer wurden von den Ägyptern bedrängt. Mose führte sie hinaus aus Ägypten und zugleich an einen neuen Ort, zu ihrem künftigen Staat. Diese meist gehörte Begründung sieht allerdings darüber hinweg, dass dieser Prozess auch eine recht bestimmte Form zeigt, die zu erörtern sich lohnt.

Die Struktur der ägyptischen Theokratie

Gehen wir kurz zurück zu Kees und versuchen wir, die ägyptische Verfassung etwas systematischer darzustellen.

Synchrone Elemente

Wir haben eine polytheistische Theokratie, die auf drei Schichten die territoriale Kontrolle definiert. Die vertikalen Hierarchien werden über Göttergenealogien dargestellt. Diese leiten sich alle letztlich aus Ursituationen, aus Gründungen ab, beziehen daraus ihre Legitimation.

Nun sind aber diese Göttersysteme nicht abstrakt. Sie lassen sich als physisch repräsentiertes semantisches System betrachten. Die spezifisch charakterisierten Götterfiguren und ihre Tempel sind topologisch gebunden, befinden sich im ontologisch höchstwertigen Kern von Siedlungsräumen, stehen für das entsprechende Territorium, das sie schützen. Und auch dieses semantische System begründet sich von Ursprünglichem her, von 'Urhügeln', von Göttern an 'erhobener Stätte'. <9> Dieses objektive System stützt ein soziales in drei Schichten: Volk, Adel und Führung, wobei hier Führung sowohl für König wie auch für Dorfchef und Gaufürst steht. Die unteren Ebenen haben ihre Autonomie bewahrt. Die Einheiten sind analog strukturiert. Die soziale Legitimation geht - prinzipiell schriftlos - über den Kult. Neben den relativ spät monumentalisierten Götterfiguren und Tempeln hat der Kult die vordynastische Zyklik der Auflösung und Reinstitution des semantischen Instrumentariums bewahrt (Opfer, Schmuck, Reise der Götterfiguren usw.). Da diese Zyklik der entsprechenden Kulte wiederum auf die Gründung zurückführt, legitimiert sie analog auf Orts-, Gau- und Reichsebene den Dorfchef, Gaufürsten und Reichskönig auf analoge Weise als entsprechender Territorialgründer. Daraus versteht sich die Personalunion von Territorialherrschaft, Rechtsprechung und oberstem Priester. Der Adel steht primär der Gründerlinie nahe, übernimmt aber zusehends die mit der Ausdehnung der Territorien anfallenden, vom König delegierten Verwaltungs- und Machtfunktionen. Das Volk ist in dieser Struktur nur Inhalt des Territoriums, hat aber meist ein Interesse an der Erhaltung der betreffenden Territorialität. Es ist primär der Gottheit, dann aber auch der sozialen Führung untertan, unterhält durch Teilnahme an den Kulten und durch Opfer und Zuwendungen die Kultanlage. Die Gesetzgebung orientiert sich an der Kulttradition, ist sakraler Art, wird von der Führung - auch im eigenen Interesse - statuiert, interpretiert und kontrolliert.

Diachronische Elemente

Obschon sich die Göttersysteme und Kulte über grosse Zeiträume beträchtlich wandeln können (Monumentalisierung, Anthropomorphisierung), der Bezug auf eine Ursetzung als Legitimation erhält sich durch alle Veränderungen hindurch. Die Mythisierung ergibt sich Im fortgeschrittenen Stadium aus dem Umstand, dass die frühen Bedingungen solcher Gründungen mit ihren in der Regel recht realistischen Begriffen wie 'Urhügel', 'Erderhebung" usw. aus der entwickelten Spätsicht nicht mehr verstanden werden. Diese Urbegriffe in den äItesten Schichten deuten andersrum darauf hin, dass das territorial-semantische Element grosse Kontinuität aufweist und dass die territoriale Komponente seit den Anfängen zum Wesentlichsten dieser Kulte gehörte. Die Göttergenealogien, etwa der zahlreichen Gautempel, wären somit nicht einfach als 'reizvolle Geschichten', 'irrationale Legenden' oder gar 'Glaubensinhalte' zu verstehen, sie waren vielmehr politisch von eminenter Bedeutung, regelten das Machtgefüge in den Gauen und ihr Verhältnis zum Reich. Erlitt der König Machteinbussen, so betonten die Gaufürsten die Autonomie ihrer eigenen Göttergenealogien. Ob in einem Dorf, in einer Gaustadt, oder im Reich, man kannte genau die Bedeutung der Tempel, die Namen ihrer Götter, ihre territoriale Reichweite, die ihnen zugeordneten Kulte und Feste in denen sich die Ansprüche der damit verbundenen sozialen Eliten manifestierten.


Zum folgenden Teil
Anmerkungen 1
Anmerkungen 2
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