- Religion als Verfassung -



 

DER EWIG BRENNENDE DORNBUSCH

DIE STRUKTUR DER THEOKRATIE IM ALTEN ORIENT UND DAS SCHOLASTISCHE TRAUMA EUROPAS


 

Ansätze zu einer ägypto-judaeo-christlichen Religions-Anthropologie

Ein akuter Weg zur Selbstverantwortung des Menschen

von Nold Egenter



1
EINLEITUNG

Der Ausdruck 'Anthroplogie der Religion' ist ein relativ neuer Begriff, sowohl in der Anthropologie als auch in der Religionswissenschaft. Präziser gesagt, er existierte zwar seit einiger Zeit - etwa als Unterbegriff der Kulturanthropologie - aber man hat ihn nicht ernst genommen. <1> Er hat nie die Bedeutung erlangt wie etwa die Religionssoziologie im Anschluss an Durkheim's 'Elementare Formen des religiösen Lebens' (1912). Jedoch, Religionssoziologie blieb immer prinzipiell synchronisch, man beschrieb Religion meist von zeitgenössischen Auffassungen des sozialen Verhaltens her. Dabei wurde Religion als solche in ihrer Substanz theoretisch nicht tangiert, da ihre Grundlagen als historische prinzipiell ausserhalb des eher synchronischen Blickwinkels der Soziologie liegen.

Dass der anthropologische Zugang zur Religion wissenschaftlich nicht populär ist, hat auch andere Gründe, sie liegen im modernen Begriff Religion selbst. Er ist scholastisch tabuisiert. Religion ruht metaphysisch grundsätzlich auf dem absolut Geistigen, auf der humanen Seite am Begriff 'Glauben'. Diese Konstellation war seit Beginn der christlichen Bekehrungsgeschichte religionspolitisch relevant und ist es bis heute geblieben. Sie stützte das Wertschema 'Hochreligion' und 'primitive Religion', was als Legitimation zur Bekehrung diente. Sie war und ist auch ethisch verflochten, eurozentrisch Teil der höchsten Ontologie. Die metaphysische Sichtweise blieb deshalb in jeder religionswissenschaftlichen Perspektive grundsätzlich unangetastet (auch in der Subdisziplin der Kulturanthropologie). Transzendenz und Glaube an etwas 'Übernatürliches' sind immer die Grundkategorien, sowohl der Ordnung wie der Interpretation.

Kulturelle Immanenz der Religion wurde deshalb nur bedingt in Betracht gezogen, Heute wohl am bekanntesten sind Mircea Eliades zahlreiche Arbeiten über die 'Morphologie des Sakralen'. Räumliche und zeitlichen Strukturen des Heiligen (inhomogener Raum) werden weltweit aus verschiedensten Kulturen vergleichend zusammengestellt und interpretiert (Axis Mundi, Ewige Wiederkehr). Von vielen werden Eliades Arbeiten religionsanthropologisch gelesen. Die Quellen sind jedoch vornehmlich historisch, somit spät und entwickelt. Und in der Deutung bleibt Eliade eurozentrisch-historistisch-scholastisch. Die herausgelösten Raum- und Zeitstrukturen werden prinzipiell metaphysisch, das heisst, als mimetisch-mikrokosmische Reproduktionen makrokosmisch transzendent vorgegebener Ordnungen interpretiert. Nicht zuletzt hat Eliade mit seiner letztlich theologisch fundierten 'Religionsanthropologie' Wesentliches zur Fundamentalisierung der postmodernen 'Humanities' beigetragen.

 Dagegen liefert O. F. Bollnows Anthropologie des menschlichen Raums (1963) im Rahmen der Habitat-Anthropologie die neue theoretische Grundlage, die es erlaubt, die kulturelle Immanenz des Religiösen in den Vordergrund zu stellen. Die enge Verbindung der menschlichen Raumperzeption und aktiven Raumordnung in der Siedlungs-Anthropologie legt es nahe, die Entwicklung der Religion im engen Zusammenhang mit Entwicklung menschlichen Siedelns zu suchen. Dies ergibt sich aus dem einfachen Grunde, weil - nach Bollnow - die Perzeption makrokosmisch weiter Räume in der Kulturentwicklung etwas sehr spätes ist (Europa 14. Jhdt.). Wir können annehmen: Religion folgt der Evolution der humanen Raumper-/konzeption. <2>

Die vorliegende Arbeit stützt sich kulturvergleichend auf die phänomenologische 'Siedlungsforschung'. Siedlung als Grundbegriff der Kulturforschung ist sinnvoll vor allem aus Präzisionsgründen. Im Unterschied zum endlos ausufernden Sammelbegriff 'Kultur' mit seinen eurozentrisch-disziplinären Apriori-Projektionen und -Wertungen lassen sich Siedlungen in verschiedenen Kulturen recht präzis und objektiv beschreiben und als humane Ordnung im Raum (und in der Zeit) erfassen. Im interkulturellen Vergleich wird entsprechend der Begriff Religion vermieden. Er impliziert immer apriori das eurozentrische Gefüge, das Wertschema von hoch und primitiv. Der neutralere Begriff 'Ontologie' im Sinne von 'Weltbild' wird verwendet.

Die Habitat-anthropologische Methode erzeugt gerade im Bereich 'Religion' erstaunlich neue Visionen, ja ein echter Paradigma-Sprung gegenüber dem herkömmlich eng historisch dominierten Konzept Religion. Es zeigt sich ein evolutionärer Prozess, der, ursprünglich stark territorialrechtlich und topologisch lokal gebunden, sich vorerst imperialisiert, in den frühen Reichen über die Monumentalisierung der Tempel neue Raum- (imperial, universal) und Zeitdimensionen (lineare Zeit, Ewigkeit) <3> gewinnt, durch schriftliche Fixierung von den kultisch-topologischen Bedingungen abstrahiert, entsprechend zeitlich und räumlich manipulierbar wird.

Anders gesagt: dem konventionell eng historisch gedeuteten Komplex 'Theokratie' wird hier habitat-anthropologisch eine vordynastisch-vorgeschichtliche, dörflich-lokal strukturierte Schicht unterlegt. In diesem Schichtenbild zeigt sich nun - unüblich - das ganze System betont von seinen immanenten 'Habitat' Prinzipien, von seinen territorialen und konstitutionellen Charakteristiken her.

Die folgende kurze Darstellung kann vorerst bloss als Arbeitshypothese gelten. Trotz dieser Einschränkung lassen sich die weitreichenden Konsequenzen der vorliegenden Untersuchung bereits ahnen.

2
DIE KONSTITUTIONELLE STRUKTUR DER ALTÄGYPTISCHEN RELIGION

In erstaunlichem Kontrast zu populär gewordenen Trends, etwa im Zuge der 'New Age'- Bewegung, die historischen Quellen Altägyptens neuerlich zu mystifizieren, stehen die neueren fachlichen Fortschritte in der Ägyptologie, die sich von den 'klassischen', auf dynastischem Mythos, Geist und Glauben fussenden ägyptologischen Mystifikationen gerade in neuerer Zeit dezidiert wegbewegt.

 In seinem systematischen Bericht über den Stand der Forschungen in der Religions- Ägyptologie (Enc. delle religioni, 1970) vertritt Alfonso di Nola die Ansicht, die klassischen Auffassungen seien heute widerlegt. Thesen wie etwa die vor allem von Brugsch noch vertretene, wonach Mythen, Glaubensweisen und Kulte im Alten Ägypten ein über Tausende von Jahren kontinuierlich fassbares homogenes Glaubens-Medium gebildet hätten, sind heute nicht mehr haltbar. Dies sei heute durch historisch dynamische Konzepte ersetzt, die entwicklungstheoretische Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen. Di Nola folgt hauptsächlich Calderini's phaseologischen Einteilungen und methodologischen Ansätzen, insbesondere seinen wichtigen Differenzierungen von 'offizieller Religion' und 'Volksreligion', von 'universalen' und 'lokalen' Göttern und ihren Kulten. Sie befürworten den anthropologischen Zugang. Di Nola bleibt jedoch unentschieden in der Frage nach genetischen Verhältnissen (Primat des Universalen, Primat des Lokalen), legt lediglich die verschiedenen Konzepte verschiedener Autoren vor (betr. Klassifikation der Götter), was aber durchaus legitim ist, in einem Bericht.

Hermann Kees

In diesem Zusammenhang ist Hermann Kees' Studie zur altägyptischen Religion von grundlegender Bedeutung. Er betont vorerst den starken Einfluss 'ethnologischer Methoden' auf die Religions-Ägyptologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, es hätte dies sehr positiv zu intensivierten Detailforschungen in der Ägyptologie geführt. In direkter Beziehung zu Sethe (1930), der die primäre Bedeutung physisch repräsentierter Lokalgötter im Zusammenhang damals heftig diskutierter 'fetischistischer Götter- Verehrung' stützte, stellt uns Kees die ägyptischen Götter stark topologisch gebunden in ihren umweltlichen Verflechtungen dar.

Schon Maspero, Ed. Meyer und "der beste Kenner altreligiöser Texte", Sethe, seien der unter den älteren Ägyptologen herrschenden religionsgeschichtlichen Auffassung von einem himmlischen Universalgott entgegengetreten. Maspero hätte betont, man habe das Eigenleben der ägyptischen Ortskulte gewaltig unterschätzt. Maspero verlangte die Untersuchung der Eigenart jedes Ortsgottes und Ed. Meyer stellte die Gaue und ihre Gottheiten als Vielfalt der Formen und Arten an den Anfang der Entwicklung. Kein kultisches Merkmal weise auf eine dieser Zeit der Gaustaaten vorausgehende Einheit, die auch einen gemeinsamen obersten Gott besessen hatte. Ein "göttlicher Feudalismus" ist das "primordiale Faktum der ägyptischen Religion!" (Maspero). Folgerichtig habe auch Sethe den Grundaufbau der ägyptischen Religion nicht aus Mythen, sondern aus den kultischen Zeugnissen des Landes rekonstruiert. "Aus der Vielheit der Gaue und Gaugötter heraus stelle er die Entwicklung zum Gauverband, zu Landeshälften und schliesslich zum Einheitsstaat der geschichtlichen Zeit dar,...." Sethe: "Die äIteste und primitivste Form der Gottesverehrung tritt uns in Ägpyten in den Ortsgottheiten entgegen,..."

 Kees stellt sich klar in diese Linie. Nicht Glauben oder Mythos zählen in seinen Beschreibungen, vielmehr das lokale Habitat. Er beschreibt sehr ausführlich die örtlichen Kulte mit ihren ortsgebundenen Göttern, die entsprechenden Kultstellen mit ihren sozialen und politischen Implikationen.

Alle seine Beschreibungen stützen sich auf archäologische, ikonologische und historische, im engeren Sinne auf Text-Quellen lokaler Geltung. Die zahlreichen Kulte und Götter der altägyptischen Welt erscheinen so zum einen von ihren verschiedenen Formen her identifizierbar (Tiere, Pflanzen, andere heilige Objekte wie Zeichen, Erdhügel, Steine, Pfeiler etc.). <4> Zum andern sind sie klar lokalisiert, in ihren territorialpolitischen Funktionen erfasst. Kosmisches 'Aufhöhen' und Entwicklung von Mythen gehören ihm zu einer gehobenen Schicht 'spekulativer Weiterbildung' in der altägyptischen Kultur <5>.

Weiter stellt Kees als 'Grundsätze der Formung' die wesentlichen Kräfte zusammen, die im territorialen Göttersystem die statischen und dynamischen Faktoren der Entwicklung Ägyptens bilden. Das Erbe der Vorzeit wirkt im Spannungsfeld zwischen der Autonomie der Ortskulte und der Überschichtung durch den Staatskult. Deutlich wird beschrieben wie die Götterbilder und Insignien zu lesen sind: Superposition von Figuren zeigt politische Vorherrschaft, weist hin auf Unterwerfung. Anlehnung und Angleichung der Götterformen weisen auf Synkretismen und politische Zusammenschlüsse hin. Wichtig ist auch die Analogie als Mittel der Verbindung oder Identifikation polar strukturierter Umstände. <6> Auch die diesen territorial gebundenen Göttersystemen immanenten Kräfte zur räumlichen Ausweitung sind wichtig. Kees beschreibt dazu auch die genetischen Verhältnisse, die Genealogien, die 'Götterkreise' stützen. Ein- und Vielheit bilden hierarchische Ordnungen, die Namen der Götter sind wichtige Garanten von Kontinuität. Kurz, Kees beschreibt das ägyptische Orts- und Reichsgöttersystem gleichsam als 'historisches' Archiv der Siedlungsgeschichte. Die Göttersysteme sind 'Dokumente' der altägyptischen Territorialpolitik.

Das altägyptischen Königtum zeigt sich nun als Entwicklung aus einer vordynastisch vorgeschichtlichen Grundschicht von Dorf- und Gaukulturen und ihren lokal gebundenen Göttern, Kulten und Festen. Kees entscheidet sich klar für das Primat des Lokalen gegenüber dem Universellen. In seiner Darstellung erscheinen Gottheiten in ihrer spezifisch physischen Form im Sinne eines topologisch verwurzelten semantischen Systems. Die Geschichte der Staatsbildung, die Entwicklung einer imperialen Verfassung aus 'Orts- und Gaukonstitutionen', Iässt sich also mit Materialien rekonstruieren, die herkömmlich der Religion zugeordnet wurden. Bei Kees liest sich 'der Götterglaube im Alten Ägypten' denn auch wie eine politische Geschichte. Eine durchaus realistische und sehr plausible Darstellung. Vor allem: sie kommt ohne Primitivisierungen aus!


Zum folgenden Teil
Anmerkungen 1
Anmerkungen 2
Zurück zur Homepage