- Religion als Verfassung -


DER EWIG BRENNENDE DORNBUSCH

Die Struktur der Theokratie im Alten Orient
und das scholastische Trauma Europas

Ansätze zu einer
aegypto-judaeo-christlichen Religionsanthropologie

Von Nold Egenter







 
 

Einführung

Trotz eindeutigen historischen Beziehungen halten sowohl die christliche wie die jüdische Theologie einen tiefen Graben aufrecht zwischen der altägyptischen Religion und der jüdischen, was theologische Fragen im engeren Sinne anbetrifft. Im Unterschied zu dieser wissenschaftlich fragwürdigen Haltung versucht die vorliegende Studie Verbindungen zu sehen und entdeckt dabei den dominant konstitutionellen Charakter früher Religion.  Hat Moses die hebräisch-theokratische Verfassung  dem Amun Kult des neuen Reiches nachgestaltet?  In  hoch abstrahierter Verbalform löst er den Reichskult ab vom System der ägyptischen Orts- und Gaukulte, die sich wesentlich als physisch repräsentierte Territorialkulte traditionell über Tausende von Jahren aus vordynastischen Dorfkulten entwickelt hatten. Sie waren die Grundlage, ja die 'conditio sine qua non' des ägyptischen Reichskultes. Doch, trotz der abgehobenen und verbal abstrahierten Form ist der territorialrechtliche Charakter des Alten Testaments als theokratische Verfassung vorderorientalisch-altägyptischen Typs recht deutlich geblieben.

Diese territorialpolitischen Aspekte halten sich vorherrschend auch in die christliche Religion hinein, insbesondere im römischen Katholizismus. Aufgrund der von Kaiser Konstantin propagierten, oströmischen Verschweissung  populär gewordener christlicher Bewegungen  mit der alt-jüdisch-theokratischen Verfassung anlässlich des Nicaenums im Jahre 325, wurde Christus für etwa 80 Jahre zum Staatsgott des römischen Reiches. Nach dem Zusammenbruch des westlichen Reichsteils  gelang es der römischen Kirche das alte Konzept einer absoluten Theokratie wieder zu beleben. Historisch schlug sich dies nieder in drei wichtigen Disputen: dem Identitäts-, dem Universalien- und dem Investitur-Streit. Die machtvoll entschiedenen Ergebnisse dieser wesentlich neuplatonisch-philosophisch geführten Auseinandersetzungen erlaubten es der römischen Kirche, das mittelalterliche Europa mit seiner klerikalen 'supra-imperialen Verfassung' über gut Tausend Jahre zu beherrschen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts (1302) zeigte der französische König Heinrich IV. 'der Schöne' jedoch keine Toleranz mehr für diese Art geistig geführter Machtkämpfe und setzte Papst Bonifaz ins Gefängnis. Die Geschichte des Mittelalters war am Ende.

Doch, später, im Zeitalter der Entdeckungen spielte etwas ganz Neues eine wichtige Rolle, die Astronomie. Die Sternkunde und Wissenschaft des Himmels  wurde zwar von der Kirche vorerst heftig bekämpft (Kopernikus, Galilei, Bruno), weil ihre Einsichten dem biblischen Geozentrismus widersprachen. Aber schliesslich wurde das Konzept des wissenschaftlichen Universums dem Vatikan dienlich. Die uralte polare Einheit von 'Himmel und Erde' mit dem Primat des ersteren bezog sich nun theoretisch auf die ganze Weltkugel. Die territorialen Aspirationen der Kirche wurden durch räumliche Extension quasi automatisch auf den ganzen Globus ausgedehnt. Als Resultat - vor allem in Europa, aber auch im Zuge der Entdeckungsgeschichte in Amerika, Asien und Afrika - gewann Rom starke geopolitische Einflüsse  durch seine hierarchisch organisierten Kirchen und seine starken Einflüsse auf die Erziehung, besonders auch durch sein weltweites Netz von kirchlich kontrollierten Universitäten. In jenen Ländern in denen das Christentum nicht die wichtigste Religion darstellt, wie etwa in Indien, China oder Japan, sind Christen auch heute noch missionarisch am Werk. Sie wirken für den Westen, setzen sich ein für westliche Religion, Erziehung, christliche Ethik, bilden proto-demokratische Kräfte aus.  Paradoxerweise profitiert diese Art von Mission heute von der modern-aufgeklärten Einstellung, die Religion als Glaube propagiert. Doch, gepaart mit Demokratie wird die Sache politisch brisant: zum Christentum Bekehrte werden immer auch nach westlichem Vorbild christliche Politik unterstützen.

Ueber Jahrhunderte sind Christen ausgeschwärmt in alle Teile der Welt, äusserlich um Andere von der überragenden euro-westlichen Moralität zu überzeugen.  Man zögerte nicht,  andere Kulturen und ihre Weltsichten lautstark abzuwerten,  fremde Religionen als primitiv, als 'Aberglauben' und dergleichen einzustufen. Man brandmarkte ganze Völker als Ketzer, interpretierte ihre Kulte in absurden Verzerrungen, schilderte ihre Inhalte als Fetische, Idole, usw..  <1> Die vorliegende Untersuchung knüpft hier an. Sie findet paradoxerweise genau das gleiche 'primitive' Element im Alten Testament: der ewig brennende Dornbusch. Er findet sich an wichtiger Stelle, ist mit dem Staatsgründungsauftrag an Moses verbunden. Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklung das ganze westliche Konzept von Religion grundsätzlich in Frage stellt.

Im Rahmen einer  globalen Kulturanthropologie wird angenommen, dass diese kleine Publikation in ganz bescheidenem Rahmen einen Wendepunkt andeutet. Ähnlich wie der  frühe Humanismus zur Zeit der Renaissance sich auf neu entdeckte Schriften des Aristoteles stützte und aus dieser vornehmlich empirischen Position die kirchlichen Historismen des Mittelalters in Frage stellte, so wird Anthropologie mit ihrer modernen Zeittiefe von Millionen von Jahren und mit ihrem auf einen neuen, umassenden Begriff des Menschen gerichteten Blickpunkt, die gegenwärtigen Fixierungen unserer historischen Methoden in Frage stellen, vor allem wenn sie nationalistische oder religiöse Fundamentalismen stützen.

Diese neue Anthropologie wird den  Menschen  von einer neu rekonstruierten Vorgeschichte her global und  jenseits kulturspezifischer Bedingungen begreifen. Ueber die ganze Welt hinaus hat der Mensch Verfassungen entworfen um sein Leben im Raum zu sichern. Sozialstrukturen, Religionen, Kunst, alles was wir Kultur nennen, leitet sich davon ab. Erst wenn wir diese Institutionen in ihrer überkulturellen Gleichwertigkeit neutral und objektiv begreifen, werden wir die agressive Ethnozentrizität überwinden, die heute die Welt beherrscht.<2>


ANMERKUNGEN

1. Welch ungeheuere Verzerrungen auch heute noch möglich sind zeigt etwa die Wanderausstellung 2000 des Theologen Hans Küng (Tübingen). Unter dem Titel "Weltreligionen, Weltfrieden, Weltethos"  versucht er,  aus 6 Religionen (Hinduismus, Chinesische Religion, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam) ein synkretistisches "Weltethos" zu bilden. Wie höchst willkürlich und diskriminierend das ausfällt, zeigt der Blick auf Japan:110 Millionen Shintoisten  wird Moral und Ethik schlichtweg abgesprochen.

2. In diesem Sinne ist dieses Essay auch gegen Samuel P. Huntington's regressives Buch, 'The Clash of Civilisations and the Remaking of World Order' gerichtet. Mit Rückgriffen auf eng historische  Begriffe des 19. Jahrhunderts   ('civilisation') und regressiven Theorien (Oswald Spenglers höchst fragwürdige 'Morphologie der Weltgeschichte', sein organizistisch begründeter 'Untergang des Abendlandes'  und Toynbee's 'Aufstieg und Verfall' - Schema der Weltkulturen) versucht Huntington die von der Reagan Ära eingeleitete weltweite Fundamentalisierung zu legitimieren und als Grundlage einer neuen Weltordnung darzustellen.
 
 



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